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Geschichte
Das Wort Freiheit ist ein von mehreren Diskursteilnehmern besetzter Begriff. Insbesondere wird er von Sterbehilfebefürwortern stark besetzt, die die Möglichkeit der Inanspruchnahme von
Sterbehilfe am Lebensende als direkte Äußerung individueller Freiheit begreifen. Bei dieser Freiheit spielt insbesondere die Frage nach der Würde der eigenen Sterbeumstände eine Rolle. In der
Palliativversorgung wird der Freiheitsbegriff wegen dieser ausgeprägten diskursiven Konkurrenz faktisch eher selten verwendet, jedoch immer noch häufiger als in den meisten anderen medizinischen
Disziplinen.
Bedeutungsspektrum in der
Palliativversorgung
In Bezug auf den Tod und das Sterben wird der Freiheitsbegriff in der Palliativversorgung kaum verwendet. In seltenen Fällen wird die Inanspruchnahme von Maßnahmen der Palliativversorgung selbst
als Freiheit charakterisiert, semantische Konkurrenz des Freiheitsbegriffs in Gegenüberstellung mit den Sterbehilfebefürwortern wird aber tendenziell vermieden. Demgegenüber stehen die Aspekte
der Würde, der Linderung und der Begleitung stärker im Vordergrund. Wie die Kollokationen zeigen, kann das Wort Freiheit in der Palliativversorgung dagegen in vielfältigen Kontexten
verwendet werden. Die wichtigsten Bedeutungen werden hier aufgeführt:
Freiheit kann erstens bedeuten die Freiheit von Symptomen und damit eine erfolgreiche Symptomkontrolle. Freiheit wird zweitens verstanden als Unabhängigkeit im menschlichen Alltagsleben,
besonders im Sinne einer funktionierenden Alltagsbewältigung mit nur geringen funktionalen Einschränkungen. Damit ist mit Freiheit vor allem die fehlende Notwendigkeit fremder Unterstützung bei
alltäglichen Verrichtungen gemeint.
Freiheit kann drittens die Selbstbestimmung der Patientin/des Patienten in der Entscheidungsfindung bedeuten. Freiheit zeigt sich hier u.a. im Ausfüllen der Patientenverfügung. Die
Errungenschaften der Palliativversorgung sollen schwerstkranken Patientinnen und Patienten die Freiheit geben, Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen bzw. persönliche Freiheit möglichst lange
zu erhalten („assistierte Freiheit“). Freiheit meint schließlich aus der Perspektive der Ärztin/des Arztes die Freiheit der ärztlichen Berufsausübung als verfassungsrechtlich garantiertes
Prinzip.
Das Wort Freiheit wird schließlich in vielen Texten auch als klar von Sterbehilfebefürwortern besetztes Prinzip erkannt, das in deren Argumentationsgängen bewusst idealisiert werde, letztlich
aber vom unangreifbaren Wert des individuellen menschlichen Lebens wegführe.
Kollokationen: idealisiert, Vergebung, assistiert, Berufsausübung, Bewegungsfreiheit, Unterdrückung, absolut, ewig, Unabhängigkeit, Ideal, selbstbestimmt, menschlich, Gewalt, einschränken, Prinzip, Notwendigkeit, Zweifel, gewinnen, Angst, Selbstbestimmung, verlieren, Körper, Vorstellung, Verantwortung, Liebe, Autonomie, individuell, entscheiden.
Feststehender Begriff: Nein. Der Begriff liegt in einer alltagssprachlichen Bedeutung vor und unterscheidet sich nicht maßgeblich vom allgemein gebräuchlichen Freiheitsbegriff. In dieser Hinsicht stellt Freiheit ein nur schwer zu umreißendes, kontextspezifisch ausgestaltetes Rechtsgut dar.
aus: Joachim Peters, Maria Heckel, Christoph Ostgathe (2020): Schlüsselbegriffe in der Palliativversorgung. Online-Handbuch. abrufbar unter https://www.uker.de/pm-handbuch